Das unglaubliche Leben des Wallace Price | TJ Klune

Ein Teeladen mit einem Hund.
Wallace Price ist ein kaltherziger, karrierebesessener Anwalt, der plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt – ohne zu merken, wie sehr er sich von den Menschen in seinem Leben entfremdet hat. Nach seinem Tod wird er von einer sogenannten „Seelensammlerin“ namens Mei abgeholt und ins Teehaus von Hugo gebracht – einem mystischen Zwischenort zwischen Leben und Tod. Hugo ist ein „Fährmann“, dessen Aufgabe es ist, Seelen auf ihrem Weg ins Jenseits zu begleiten. Doch Wallace weigert sich zunächst, seinen Tod zu akzeptieren. Mit der Zeit, durch die Begegnungen im Teehaus und Hugos einfühlsame Art, beginnt Wallace, sich zu verändern. Er entdeckt Mitgefühl, Reue und sogar Liebe – etwas, das ihm im Leben fremd war.

Unsere Review zu Das unglaubliche Leben des Wallace Price von TJ Klune

Ich habe lange überlegt, womit ich diese Review von TJ Klunes Das unglaubliche Leben des Wallace Price beginnen soll. Mit einem Zitat? Aber wie könnte ich einen Satz aus dem Kontext reißen und erwarten, dass er alles widerspiegelt, was dieses Buch ausmacht? Mit der Beschreibung des Protagonisten? Doch wie soll ich eine Figur beschreiben, die sich so grundlegend verändert und die – genau wie die Leser*innen – sich selbst gerade erst kennenlernt? Ich habe versucht, die Geschichte mit nur einem Wort  zu beschreiben: Schön? Besonders? Wohltuend? Vielleicht klappt es ja besser mit einem Substantiv: Vertrauen? Umarmung? Therapie? Oder mit einem Verb: Sich fallen lassen und aufgefangen werden, verlieren und finden, anhalten, sich umsehen, wahrnehmen, lernen? Doch ehrlich gesagt kann und will ich mich nicht auf ein Wort festlegen, denn Das unglaubliche Leben des Wallace Price ist jedes einzelne – und trotzdem ist damit noch nicht einmal ansatzweise gesagt, was in diesem Buch steckt. Ich schreibe also diese Review und gebe dabei mein Bestes, kann euch aber jetzt schon sagen, dass sie niemals vollständig sein wird – denn Das unglaubliche Leben des Wallace Price ist weitaus mehr als die Geschichte des toten Wallace, der erst als Geist tatsächlich lebt. Es ist mehr als Hugo, der Ferryman, der unzählige Teesorten und mindestens genauso viel Verständnis für diejenigen hat, die sie trinken. Es ist mehr als Mei, welche tagsüber die Toten zu Hugo bringt und abends in der Küche zu lauter, grauenhafter Musik Scones backt. Und es ist mehr als – obwohl er die Essenz des Buches ziemlich gut zusammenfasst – Apollo, der Hund, der zwar tot ist, aber trotzdem noch da, der gegenüber seiner Familie loyal ist und unangenehmen Menschen gerne mal ans Bein pinkelt. Ganz zu schweigen von Nelson, dem Großvater Hugos, der Apollo dafür lobt und trotz seines Alters die ein oder andere Karateübung beherrscht.

Einfach sein dürfen

Kennt ihr das, wenn ihr eine Geschichte lest und am Ende des Buches traurig seid, weil ihr die Welt verlassen müsst? Ihr nicht mehr Teil des Lebens der Charaktere seid und es sich anfühlt, als würdet ihr ein Stück von euch zurücklassen? Mir geht es bei vielen Büchern so – bei diesem hier aber nicht. Wie so oft war ich auch hier ein wenig bekümmert, Wallace, Hugo, Mei und die anderen Figuren hinter mir zu lassen. Schließlich habe ich miterlebt, mitgefiebert, mitgelacht, mitgelitten und – nein, ich übertreibe nicht, wenn ich das sage – habe selbst gefühlt, wie mein Herz an der ein oder anderen Stelle höher schlug. Also ja: Das Buch zu Ende zu lesen, war schade. Trotzdem hatte ich nicht den Eindruck, eine Fantasie, einen Teil von mir zu verlieren. Im Gegenteil: Es fühlt sich an, als sei ich an diesem Buch gewachsen. Als seien die Figuren weiterhin ein Teil von mir, als habe sich mein Horizont erweitert. Vor allem aber fühlt es sich an, als hätte ich gerade eine lange Umarmung bekommen; wie genau die richtigen Worte im richtigen Moment, wie eine Tasse warmer Tee im eisigen Winter. 

Pfefferminze, Chai, Orange und Lebkuchen: mein Fazit

Ich habe inzwischen schon so einiges an Literatur gelesen – Märchen und Heldensagen, Romane und Biographien, Briefe und Berichte, Erzählungen und Poesie, Reden und Manifeste – und vieles davon hat mich beeindruckt, geprägt oder begeistert. Dass aber ein Buch mir einerseits das Gefühl gibt, einmal kräftig umarmt zu werden, ich sein zu dürfen bzw. einfach einmal sein zu dürfen (ohne den Alltagsstress, der einen heutzutage dauerbeansprucht), ja dass ein Buch mich inspiriert, zum Nachdenken anregt und mich am Ende ein kleines Stückchen weiser zurücklässt, das gab es selten – bis ich auf TJ Klune gestoßen bin. Man merkt diesem Autor an, dass er schreibt, weil er es liebt – und vor allem merkt man das an jedem einzelnen seiner Bücher. Mit The House in the Cerulean Sea hatte Klune die Messlatte bereits hoch gesetzt – Das unglaubliche Leben des Wallace Price steht dem Ganzen aber in nichts nach. 
Mein Fazit? Klunes Romane tun einfach gut. Wenn ihr also gerade vor lauter Stress nicht mehr wisst, wo euch der Kopf steht, ihr dringend Urlaub braucht oder einfach mal wieder eine schöne Geschichte lesen wollt, empfehle ich euch: Schnappt euch Das unglaubliche Leben des Wallace Price, trinkt eine Tasse Tee (die oben genannten Sorten geben euch bereits einen Vorgeschmack auf das, was euch im Buch erwartet) und tut euch selbst etwas Gutes.

Cover des Buchs "Das unglaubliche Leben des Wallace Price"
Originaltitel: Under the Whispering Door
Originalsprache: Englisch
Autor*in: TJ Klune
Seitenzahl: 480
ISBN: 978-3-453-32146-5
Verlag: Heyne